Es fühlt sich wie eine Ewigkeit her an, dass ich das letzte Mal in der Limobar war. Dennoch finde ich den Weg und betrete beschwingt die Gaststätte. Suza erwartet mich natürlich bereits, ebenso wie ein Blick von ihr, der töten könnte. Ich versuche in Suzas Augen zu lesen, was los ist, doch diese sieht nun erzürnt zum Nachbartisch, wo ein Handy so laut pingt, dass selbst Hubert hinter der Theke einen kleinen Schreck beim Einschenken bekommt. „Was ist los?“, frage ich nun mein Gegenüber und los geht das Donnerwetter. Mit dem Finger zeigt Suza auf mich und sie macht mir wirklich Angst. Hinzu kommt ihr zischendes Flüstern, was lauter als jedes Geschrei wirkt: „Du! Du bist ein schlechter Mensch!“ – „Die einen sagen so, die anderen so“, erwidere ich gelassen und sehe, dass Suza nicht zum Scherzen aufgelegt ist. Wobei ich das auch ein großes Stück weit wirklich ernst meine, denn immerhin habe ich mir mühsam erarbeitet, dass ich damit leben kann, nicht jedem gefallen zu können. Ich lasse mich darauf ein: „Warum bin ich ein schlechter Mensch?“ Die Antwort folgt prompt: „Ich wäre fast gestorben!“ Ping. Das Handy des Nachbarn gibt wieder Laut. Ich muss nichts sagen, Suza kommt von alleine in Fahrt: „Du bist nicht da, wenn es wichtig ist! Dir ist es egal, wie es mir geht! Ja, lustig lachen mit Suza – klar, dafür reiche ich dir, aber sobald man dich braucht, weil man fast krepiert, dann zieht sich Madame mal schön zurück, um ihre Unnahbarkeit sowie ihre Unantastbarkeit durch schlechte Zeiten zu wahren!“ Oh, Suza legt es drauf an und ich bin durchaus negativ empfänglich für Vorwürfe. Vor allen Dingen, wenn ich sie für ungerecht halte; bin schließlich nicht der verdammte Dalai Lama: „Suza, das ist deine Wahrnehmung und entbehrt jeglicher objektiver Sichtweise!“ – „Achja, ich bin immer für dich da! Ich würde für dich zu jeder Zeit durchs Feuer gehen!“ Ping. „Achja“, antworte ich pampig, „zum Beispiel damals, als ich dich bat, mir was gegen den Hexenschuss zu besorgen oder mich zumindest zu erschießen, weil ich die Schmerzen nicht aushalten konnte?“ – Jetzt ist Suza auf 180: „Spinnst du? Das ist ja wohl was völlig anderes! Der Gang zur Apotheke hat den Schuss gelöst! Mir aber ging es sehr, sehr schlecht!“ Ping. Vorwürfe werden mit Vorwürfen beantwortet, also halte ich mich daran: „Du bist ein unverbesserlicher Egoist! Deine Sicht zählt und alle anderen haben sich ihr anzupassen!“ Ping. „Quatsch!“ Ping. „Mone, du wolltest, dass ich dir Taschentücher bringe. Taschentücher!“ Ping. „Ja, und was ist daran zu viel verlangt, Suza?“ – „Bitte, Mone? Du bist so ein verdammter Kerl!“ – „Kerl? Klar, Suza, jetzt beschimpf mich halt, nur weil ich fast den Löffel abgegeben hätte. Ich! Nicht du!“ Ping. „Mone, Grippewelle! Das ist gefährlich!“ Jetzt zeige ich Suza einen Vogel. „Grippewelle. Pff. Eine kleine Erkältung hast du gehabt! Sonst säßest du gar nicht hier!“ Ping. Suza sieht das anders, steht auf und schreit mich an: „Täte ich auch beinahe nicht! Weil du so feinfühlig bist, wie Hitler edelmütig!“ Ping. Ich stehe ebenfalls auf und schreie über den Tisch zurück: „Hitler ist tot!“ – Suza: „Jesus auch!“ – Ich: „Suza!“ Suza hat genug, schmeißt den Stuhl um und rennt aus der Limobar. Ich schreie ihr hinterher: „Du Arsch! Sehrwohl würde ich dir einen Krankenwagen entführen und den besten Chirurgen der Welt klauen, aber wegen Taschentüchern? Und? Hast du mich mal gefragt? Wie es mir ging!? Ich konnte deine beschissenen Taschentücher nicht holen, weil ich selbst mit Fieber im Bett lag!“ „Blitzbirne“, schiebe ich noch hinterher, als ich mich wieder setze und dem lauten Pingen des doofen Handys vom Nachbartisch lausche. Ich gucke erbost herüber. Der Mensch reagiert nicht. Ich habe keine Ahnung, was nun passiert. Nicht, ob Suza meine Erklärung gehört hat, und auch nicht, ob das jetzt das lächerlichste Ende einer Freundschaft ist, das es je gegeben hat.
Nach weiteren gefühlten 12 Pings will ich Suza hinterherlaufen, nach gefühlten 13 Pings des Nachbarhandys betritt Suza auf einmal wieder die Bar, setzt sich auf ihren Stuhl, den Hubert kommentarlos wieder auf- und ausgerichtet hat und sagt: „Entschuldigung. Ich hätte fragen sollen, wie es dir geht!“ Mein Herz geht auf. Ich bin erleichtert. „Das Leben ist zu kurz für so was, oder?“ fragt Suza. Ich nicke: „Zu kurz, um nicht selbstreflektiert sein zu können.“ – „Zu kurz um nicht einfach mal sagen zu können, dass es einem Leid tut“, ergänzt Suza. „Entschuldigung! Ich hätte dir die Taschentücher bringen sollen“, sage ich und wir umarmen uns über den Tisch hinweg. „Nimmste nicht erst, was ich dir Böses an den Kopf geworfen habe, oder?“, ergänze ich. „Quatsch“, jeder muss mal Dampf ablassen, oder? Außer dem Dalai Lama natürlich.“ Suza lächelt mich an und unser zufriedenes Schweigen wird nur durch das Handypingen gestört. „Suza“, frage ich nach einer Weile, „gibt es diese Menschen eigentlich noch, die einfach mal Fehler eingestehen und sagen: Sorry, das hab ich verbockt!?“ Suzas Augenbrauen ziehen sich in die Höhe und sie sagt traurig: „Ich glaube, es gibt sogar kaum noch Menschen, die auf die Idee kämen, dass auch immer zwei dazu gehören könnten, wenn zwischenmenschlich was schief geht. Jeder will jederzeit im Recht sein.“ Ping. Dieses Ping bringt Suza und mich gleichzeitig auf die Idee, den ultimativen Beweis für unsere Theorie zu erbringen und Mone ruft eher als ich freundlich zum Nachbartisch: „Hey, Meister. Tschuldigung, das nervt ein bisschen, kannste das nicht auf lautlos schalten? Bitte!“ Der Mann guckt uns an und antwortet: „Pass ma uf, Bitches! Zwingt euch kener hier zu sein, wa?! Könnt ja gehn!“
Schulterzuckend beschließen wir den Nachbartisch zu ignorieren, als Hubert zu uns herüber kommt und fragt: “Mädels?! Jetzt ‘nen Doppelten?” Wir antworten: “Nein danke, Hubert. So schlimm war es nicht.“ – „War nur ne Erkältung”, ergänzt Mone schmunzelnd. Hubert geht nickend zum Nachbartisch, knallt dem Gast ein Bier vor die Nase, greift sich das Handy und versenkt dieses im vollen Glas. Ping. Platsch. „Tschuldigung!“, ergänzt der Wirt noch breit grinsend, bevor die nächste Wutwelle über die Limobar hereinbricht.